Luis klebte das letzte Stück Panzertape an die Unterseite des Fensters, um dieses abzudichten – der Vulkan hinterm Fenster, weit am Horizont, direkt auf der Südwestküste Islands, spuckte wieder einmal einen Schwall Magma empor.
Alle Fenster und Türen waren nun abgedichtet, alle Schwefelgase sollten draußen bleiben.
Einige Stunden würde er so überleben können. Er hoffte, dass der Wind endlich drehte, aber aktuell sah es nicht danach aus: Giftige, gelbe Schwefelgase zogen an seinem kleinen Häuschen vorbei.
Sein Handy klingelte.
„Was ist?“, fragte Luis.
„Ich wollte nur wissen, ob du es geschafft hast“, fragte ihn seine Ex-Freundin Mia.
„Bist du in Sicherheit?“
„Ja, bin ich. Hier in Deutschland sind auch schon zwei Vulkane ausgebrochen, aber ich bin in Sicherheit. Was ist aber mit dir?“
„Ich muss meine Story weiterschreiben.“
„Du bist noch auf der verdammten Insel? Auf Eldey?“
„Verdammt, ja!“
„Haben die dich nicht evakuiert?“
„Ich habe davon nichts mitbekommen.“
„Hast du getrunken?“
Luis kickte eine Bierdose über den Boden.
„Getrunken habe ich vorhin. Vor einigen Stunden. War völlig platt, und habe erstmal nichts mitbekommen, etwas gepennt, und jetzt…“
„Jetzt ist es zu spät, oder was?“
„Ich… vielleicht. Ja.“
„Luis! Was sagst du mir –“
Luis legte auf.
Für diesen Scheiß hatte er keine Zeit. Außerdem war es seine Ex, und er spürte, dass sie die Sorge um ihn irgendwie vorspielte. Es konnte ihr doch egal sein. Die Situation war nun einmal so, wie sie war. Ändern konnte Mia oder er rein gar nichts mehr. Was jetzt zählte, war einzig, seine Story fertig zu schreiben. Denn im Gegensatz zu ihm und seiner Situation, wusste er zumindest ganz genau, welches Ende seine Story nahm.
Er schätzte, hier auf seinen luftdichten zwanzig Quadratmetern, sollte er in frühestens zwei Stunden eine Verschlechterung der Luftqualität verspüren. Die Fenster für frische Luft zu öffnen, würde er erst können, wenn draußen von dem gelben Qualm nichts mehr zu sehen sein würde.
Falls das nicht rechtzeitig geschah, würde er irgendwann müde werden und einschlafen.
Schließlich holte er sich noch ein Bier aus dem Kühlschrank, und setzte sich damit an den Computer. Schätzungsweise noch etwa sechstausend Wörter, dann würde die Story beendet sein.
Beim letzten Blick aus dem Fenster jedoch stellte Luis erschreckend fest, dass ein Teil der Südwestküste Islands sichtbar war. Eldey – die Insel, auf welcher er sich befand – ragte über siebzig Meter aus dem Meer empor – und da er die Küste von seiner Position am Schreibtisch beim Blick durchs Fenster noch nie direkt gesehen hatte, konnte es nur bedeuteten, dass die Insel auf der er sich befand, gerade ins Meer herabsank!
„Verfickte Scheiße!“, sagte er, nahm einen Schluck Bier, und schrieb seine Story weiter.