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Am Ende war das Wort – Teil 2

TEIl 1

Luis schrieb immer so, als wäre es seine letzte Story. Als gäbe es kein danach. Aber nun entsprach es der Tatsache! Er würde mit der Felseninsel Eldey untergehen, und es würde seine letzte Story sein.

Er hielt sich und seinen Schreibfluss mit den Bieren im Flow, im Kühlschrank befanden sich noch genug Dosen und Flaschen mit Bier, und erst am Ende der Story, nachdem er sie per Mail seiner Ex zugeschickt haben würde, würde er sich mit ein paar Bieren mehr einen guten Rausch gönnen, im Angesicht des Untergangs ein gutes Unterfangen.

Seine Worte flossen: Buchstaben – Sekunde für Sekunde – Wörter und Sätze, jede Minute, genauso stetig, in einem eigenen Takt, genauso wie er vom Bier trank.

Plötzlich bebte die Erde, und ein Tintenroller kullerte vom Schreibtisch.

Aufmerksam wie Luis war, bemerkte er, dass das Bier sich etwas geneigt in der Flasche befand.

Eldey, die Felseninsel, würde doch nicht im Wasser versinken, am Ende gar noch krumm und schepp mit einer Seite emporragen, wie die Titanic mit ihrem Heck, und am Ende noch in zwei Hälften brechen?

Luis blickte aus dem Fenster – und die Küste Islands war schon zur Hälfte zu sehen. Nicht mehr grün wie sonst, sondern rot und pulsierend vor umherschießendem Magma.

Die Welt ging vielleicht nicht komplett unter – er hoffte es zumindest – aber die Insel, auf welcher er sich befand, definitiv. Und das womöglich viel zu schnell.

„Weiter! Schreib weiter!“, befahl er sich, warf eine leere Bierdose gegen das Fenster, räusperte sich und hämmerte weiter auf die Tastatur.

Nächstes Kapitel. Weiter.

Auf die Uhr blickte er überhaupt nicht. Sein Zeitempfinden verlor er schon vor einigen Tagen, denn jetzt in der Dezemberzeit befand sich die Sonne permanent unterm Horizont, und draußen herrschte ausnahmslos Dämmerung.

Musik! Er brauchte Musik!

Zum einen, weil seine Insel mit ihm unterging, zum anderen, um mehr Antrieb zu bekommen. Vielleicht erhöhte das seine Schreibgeschwindigkeit.

Er schaltete die fetten Standlautsprecher an, links und rechts vom Schreibtisch, optimal ausgerichtet im Winkel und Entfernung, und begann mit seiner Lieblings-Dub-Techno-Playlist.

Er tippte schneller, und da es sich um eine Rohfassung handelte, total und ehrlich, in einer absoluten Ausnahmesituation, korrigierte er nicht einmal auch nur irgendwas. Obwohl am Laptop, schrieb er so, als handelte es sich um eine Schreibmaschine, die etwas unwiederbringlich zu Papier brachte, es manifestierte, ohne dass man wirklich etwas korrigieren konnte.

Ein Knall – Stromausfall! Sein Generator von draußen war jetzt wohl auch am Arsch.

Aber egal, der Akku vom Laptop lief noch, drei Stunden sollten noch drin sein. Wenns beschissen lief, lief sein Laptop länger, als er selbst am Leben blieb.

Irgendwelche Dämpfe schossen vor seinem Fenster hinauf, und gelber Schaum legte sich auf die Außenseite des Fensters.

Von draußen: Das Tosen eines Helikopters!

„Das gibts doch nicht!“, rief Luis, knallte die letzten Worte der Story auf die Tastatur:

„Und, was wolltest du mir damals sagen?“, wollte Jodie wissen.

Marcus gab ihr einen Kuss und sagte:

„Baby… wir leben ewig.“

„Ende!“, rief Luis, speicherte die Datei ein letztes Mal ab, und sendete diese per Mail an seine Ex.

Er trank ein ganzes Bier in zwei Zügen, wankte dann ans Fenster – die Rotorblätter des Helikopters machten einen gigantischen Lärm, und da dieser direkt vor seiner Haustür landete, fegte er jegliche giftigen Dämpfe hinfort.

Ein Typ stieg aus dem Heli, eilte in Richtung seiner Haustür.

Luis öffnete, und erkannte Frank Schneider, den Typ, der ihn immer mit Lebensmitteln, Koffeintabletten und Tintenrollern versorgte. 

„Was ist?“, fragte Luis.

„Island ist verloren!“

„Scheiße… dann…“

„Sag uns, was wir tun sollen!“

„Uns? Wie viele sind noch im Helikopter?“

„Wir sind insgesamt zu viert.“

„Kenne ich die?“

„Nein.“

„Okay, dann…“, sagte Luis, „dann müssen wir uns überlegen, wie wir sterben wollen.“

„Oh Gott, ich hab es gewusst.“

„Ja, also… warte.“

Luis ging zum Kühlschrank, und holte sich eine Dose Bier. Jetzt war es wohl doch so, dass er ganz genau wusste, wie er sterben würde. So genau, wie er wusste, welches Ende seine Storys nahmen.

„Lass uns los!“, befahl Luis Frank, und gemeinsam eilten sie zum Helikopter.

Nachdem Luis Platz genommen, sein Flieger-Headset aufgesetzt hatte, instruierte er auch alle anderen – Anton, Benjamin und Charlie – über seinen Plan:

„Wir fliegen in den größten Vulkan!“

„Oh Gott, ich hab es gewusst.“, sagte Frank.

„Aber wieso?“, fragte Anton, und begann zu weinen.

„Weil ich mein Leben bis zur letzten Sekunde aktiv in die Hand nehme! Und weil es für uns keinen anderne Ausweg mehr gibt!“, sagte Luis, und fragte den Piloten Charlie, wie viel Kerosin noch im Tank sei.

„Im Tank habe ich höchstens noch Sprit für zehn Minuten!“

Luis sah sich darin bestätigt: anstatt unkoordiniert irgendwo herunterzugehen, war es am besten, seinen eigenen Tod aktiv herbeizuführen.

Charlie sah es genauso wie Luis – der Flug in den Vulkan war auch für ihn die beste Option. Und da niemand anderes den Helikopter fliegen konnte, gab es auch keine Meuterei gegen ihn.

Luis setzte sich neben Charlie ins Cockpit, denn beim eintauchen in das Magma wollte er davon so schnell wie möglich einverleibt werden, damit er nichts spürte.

Anflug!

Anton vergrub das Gesicht in seine Hände und weinte.

Benjamin verband sich die Augen.

Charlie schrie: „Fuuuuuuuuuck!“

Luis öffnete die Dose Bier, einen halben Liter, trank einen großen Schluck, hielt die Dose am Mund, zog das Bier in seinen Schlund, genauso zügig wie der Helikopter hinab flog in den Vulkan, trank gierig weiter, ohne seinen Blick abzuwenden von dem glühenden und pulsierenden, nur noch wenige Meter entfernten Hauptschlot des Vulkans.

Lava, Gase, Asche!

Das Bier, noch gute vier Schluck, es war immer noch nicht leer, noch drei Schluck, und das freute Luis, denn er wollte unbedingt sterben, wenn er ein Bier trank, und nicht mit einer leeren Dose dastehen.

Wenigstens ein wenig das Gefühl des Triumphes, genauso geil wie beim Beenden eines Romans.

Ende.