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ATM-Men

Ben saß vorm PC. Ein Uhr nachts. Unterm Bildschirm ein Teller mit noch etwas Nudelpizza.

Er klickte auf ein Video, welches ihm durch einen für ihn rätselhaften und behinderten Algorithmus vorgeschlagen wurde.

„Hallo, ich bin Louise von der Organisation ‚ATM-Men‘, welche ich gegründet habe.“, sagte eine junge Frau in die Kamera. „Sie fragen sich wohl, was ‚ATM-Men‘ bedeutet.“

„ATM-Men…“, murmelte Ben vor sich hin, nahm das letzte Stück Pizza und lehnte sich zurück. Hatte sein Kumpel Simon nicht vorgestern etwas über ‚ATM-Men‘ erzählt? 

Louise besaß große Brüste, aber er wusste genau – dies war oft tückisch. Meistens waren Frauen mit großen Brüsten die Gefährlichsten und Hinterhältigsten. Und noch dazu die mit dem niedrigsten Selbstbewusstsein.

„Es bedeutet ‚All-Time-Money-Men‘. Sicherlich denken Sie jetzt an Geldautomaten. Und ja, Sie liegen richtig. Es stimmt, die Abkürzung ist an der englischen Abkürzung ‚ATM‘ für Geldautomaten angelehnt. Aber es bedeutet viel mehr.“

„Mein Kumpel bedeutet mir auch viel mehr.“, sagte Ben, legte den Teller beiseite und öffnete ein separates Browserfenster. Ben fühlte instinktiv, dass es sich bei ‚ATM-Men‘ um etwas Perfides handeln musste, und dass sein Kumpel vielleicht nicht ganz wusste, worauf er sich einließ. Hoffentlich hatte er noch nichts unterschrieben!

„Durch ‚ATM-Men‘ haben Männer, die sich in einer Partnerschaft mit einer Frau befinden die Möglichkeit, Ihre Lebensmittel und Bekleidung für den eigenen Bedarf steuerfrei zu kaufen. Geliefert wird direkt nach Hause. Die Bestellungen erfolgen automatisch durch unsere neue KI ‚Eierlos‘. Der Name rührt daher, weil ja manchmal keine Eier mehr im Kühlschrank sind. Die Männer verpflichten sich jedoch, den ganzen Rest ihres Einkommens der Frau zur freien Verfügung zu stellen.“

Ben suchte nach den Vertragsinformationen von ‚ATM-Men‘, fand die Passage, in welcher genau festgelegt war, was dem Mann an Lebensmitteln und Bekleidung zustand. Dürftig, dachte Ben. Zu keinem Zeitpunkt durfte der Mann mehr als zwei Paar Unterhosen besitzen, musste diese im Wechsel benutzen. Gestattet waren auch nur ein neues Paar Schuhe pro Jahr. Was die Lebensmittel betraf, waren lediglich Hirsebrei und Linsensuppe erlaubt. Zehn Gramm Schokolade pro Woche. Das Ganze war nicht gerade attraktiv.

 „Attraktiv…“, säuselte Ben, „…gutes Stichwort.“

Er öffnete einen Index aller Pornodarstellerinnen weltweit und gab in den Sucheinstellungen die Parameter ein – so, wie Louise eben aussah. Übergroße Vintage-Brille mit runden Gläsern. Die Haare kürzer geschoren als Ben selbst, aufgeteilt in drei gefärbte Streifen: Lila, weiß in der Mitte, und blau. Große Brüste. Louise erzählte weiter:

„Durch die Steuerbefreiung für die Männer steht den Frauen mehr Geld zur Verfügung. Die Befreiung von der Steuer haben wir dem Staat zu verdanken, mit dem wir eine spezielle Vereinbarung getroffen haben. Durch den Staat ist dieses Vorhaben überhaupt möglich. Genauso auch stehen wir in Kontakt mit den zehn größten Banken weltweit. Nun aber möchte ich Ihnen zeigen, was die Männer denken. Schließlich kann das Projekt nur existieren dank der Kooperation der Männer. Wir zwingen niemanden.“

Im Video – ein Schnitt – und Louise befand sich im Freien, mitten auf einer Straße. Eine Warteschlange vor einer Bank. Allesamt Männer mit Bärten, Handtaschen und Holzfällerhemden.

„Was machen Sie hier?“, fragte Louise einen der Männer.

„Ich übertrage mein Konto meiner Frau.“

„Das ist sehr vorbildlich von Ihnen.“

„Natürlich doch. Schließlich liebe ich meine Frau.“

„Und was ist mit Ihnen?“, fragte Louise einen anderen.

„Naja, soweit ich weiß, sind Frauen weltweit für über fünfundachtzig Prozent der gekauften Waren- und Dienstleistungen verantwortlich, und ich will, dass das auch so bleibt.“

„Besser hundert Prozent!“, unterbrach der Mann hinter ihm.

„Genau, besser hundert Prozent.“, korrigierte sich der Mann, gab dem anderen einen ‚High-Five‘. „Sie soll sich zu hundert Prozent das kaufen, was sie will.“

„Sie sehen…“, sagte Louise wieder in die Kamera, „… diese Männer hier halten zusammen und stehen zu hundert Prozent hinter ihren Frauen. Wie steht es bei Ihnen?“

Ben griff sich an seinen Schwanz. Ja, nicht ganz hart. Aber ihn wunderte es nicht, denn immerhin hatte er sich das Video angesehen. Das war nicht gerade heiß.

Die Suche in der Datenbank der Pornodarstellerinnen ergab keinen Treffer.

Egal – viel wichtiger war jetzt sein Kumpel Simon! Er musste ihn warnen!

Bens Handy klingelte. Es war Simon!

„Simon! Was ein Zufall – aber gut, das du anrufst. Alles okay bei dir?“

„Hey Ben, ja, aber… ich… ich will dich so mitten in der Nacht echt nicht stören, aber… die Sache mit meiner Freundin…“

„Gott im Himmel, Simon! ‚ATM-Men‘ – hast du unterschrieben?“

„Nein.“

„Gott sei Dank!“

„Weißt du, Ben, apropos Gott. Mir ist klar geworden… Gott hilft nur denen, die sich selbst helfen.“

„Ich weiß.“

„Und wie machen wir das jetzt? Ich meine, ‚ATM-Men‘… sogar mein Nachbar hat sich gestern da angemeldet.“

„Wir Männer müssen zusammenhalten. Wir müssen unsere Opfer bringen. Wir müssen entsprechend Zeit und Willen aufbringen, damit sich die Scheiße verändert.“

„Meinst du, das reicht? Der Staat… die Banken… ‚ATM-Men‘… ist das nicht aussichtslos?“

„Nein. Wir müssen mit den Frauen kooperieren. Sich mit ihnen verbünden. Wir müssen mit ihnen reden. Die allermeisten Frauen hören viel zu sehr auf andere. Dabei haben sie einfach nur vergessen, dass sie die Männer in Wirklichkeit lieben.“